Der Zauber des archaisch Mittelalterlichen
Tanger und Casablanca – Sehnsuchtsorte zwischen Atlantik und Mittelmeer
Schon der Weg ist abenteuerlich. Im Hotel war ich noch ganz sicher, mir die Straßenführung genau gemerkt zu haben. Schon an der ersten Kreuzung kommen aber schnell Zweifel auf. Links oder rechts? Ich spreche Frauen an, die kennen das Hamam in Casablanca bestimmt. Ungläubiges Kopfschütteln und Schulterzucken auf meine Fragen nach der marokkanischen Badeanstalt.
Nächste Station ist ein Kiosk. Zwei junge Männer scheinen zu verstehen. In einem Kauderwelsch aus ein paar Brocken englisch und französisch kommt der Hinweis: immer geradeaus, dann die vierte Straße rechts oder links. In einem Eckgeschäft versuche ich erneut mein Glück. Ein Herr im Anzug, könnte ein Geschäftsmann sein, läuft mir entgegen. Er sei gleich um die Ecke geboren und kennt das Hamam meiner Wahl offensichtlich. Schließlich war er vor zwei Tagen dort selbst als Kunde zu Gast und parkte sein Auto vor der Tür. „Meine Familie hatte ich zum Hamam eingeladen. Es war ein Hochzeitsgeschenk für meinen Bruder. Allerdings war die Behandlung nicht gut. Es soll ein viel Besseres geben. Ich führe Sie gern dorthin“, lautet seine Beratung. Ein paar Schritte weiter beleibt er stehen, ruft nach oben. „Hier wohnen meine Schwester und mein Bruder. Die können weiter helfen“, erklärt der Geschäftsmann aus Tanger. Es folgen einige schnelle Telefonate und tatsächlich kommt der Bruder nach unten. Flink eilen die beiden durch das Straßengewirr von Casablanca voran. Etwa zehn Minuten später bleiben sie schließlich vor einem Hamam stehen.
An der Kasse erklären die hilfsbereiten Marokkaner der Mitarbeiterin noch kurz mein Anliegen und überlassen mich der Obhut der Frauenwelt in dem neuen Badehaus. Spärlich bekleidet geben sich die fröhlich plaudernden Frauen den Freuden des Hamams hin. Kinderlachen mischt sich in dem gefliesten Hauptraum mit dem Plätschern des Wassers. Kichernd suchen die Marrokanerinnen nach der englisch sprechenden Frau namens Imane, einer Pilotin bei der Royal Air Maroc. Geduldig erklärt sie mir die Prozedur. „Erst mit der Olivenölmasse im Dampfbad die Haut einseifen, dann etwas warten. Anschließend wird Masseurin Laila bei der Gommage mit einem aufgerauten Handschuh den Körper von den Zehen bis zum Hals abrubbeln. Nach der Entfernung der abgestorbenen Hautzellen folgt dann eine wohltuende Ganzkörpermassage.“ Es ist aufregend und wunderbar. Das Plaudern der Frauen und Lachen der Kinder begleitet das ungewöhnliche Sinneserlebnis wie leise Hintergrundmusik. Als Traumbilder erscheinen nun die eindrucksvollen Erlebnisse des Vormittags in Casablanca. Dazu gehörten die Besichtigung der imposanten Hassan II Moschee, deren Minarett mit 210 Metern das höchste religiöse Bauwerk der Welt darstellt, sowie der Besuch der neuen Medina im Habous-Viertel mit dem Souk der Messinghändler und von Rick’s Café – wo die Gäste filmreif in die Welt des Hollywoodklassikers Casablanca aus dem Jahr 1942 entführt werden. Langsam nähert sich die einhüllende Massage unter Laila und ihren geübten Händen dem Ende, führt sanft in die reale Welt zurück. Lächelnd wartet schon Imane mit einer Freundin beim angeschlossenen Friseursalon und föhnt ihre langen schwarzen Haare. „Hier treffen sich alle Arten von Frauen, wir tauschen uns aus, schließen Freundschaften. Ein Hamam gilt für viele auch als Informationsbörse. Durch die Fliegerei komme ich an viele Orte der Welt. Gestern Nairobi, morgen Brüssel, aber einmal in der Woche gehe ich das Hamam. Das ist gut für meine Haut und meine Seele“, erklärt Imane.
Ein Fischer rudert mit seinem blauen Holzboot, das mit der Farbe des Himmels und des Mittelmeeres zu verschmelzen scheint auf die andere Seite des Hafenbeckens. Ein roter Mofatransporter lehnt an der Mole. Bougainvillea von Hellgelb über Orange bis zum intensiven Purpur ranken sich an den leuchtend weißen Mauern der verschachtelt gebauten Häuser der Medina empor. Wer nicht im Straßencafé sitzt oder am Strand entspannt, bummelt durch die sauber geputzten Gassen der farbenprächtigen Altstadt von Tanger mit ihren quirligen Märkten, Handwerksbetrieben, Geschäften und Cafés. Teppich – und Souvenierhändler bieten ihre bunten Waren an. Eine Straße weiter reihen sich die Ateliers der Schneider aneinander. Schweigend sitzen sie auf flachen Holzbänkchen in ihren kleinen Werkstätten und verrichten flink die filigranen Handarbeiten. Gleich nebenan diskutieren zwei Männer mit Turban in einem Geschäft, in dem sich bis unter die Decke die Bücher stapeln. Im Hintergrund ist das Lachen von Kindern zu hören. Sie spielen gut gelaunt auf einem Platz mit Kieselsteinpflaster Fussball. Marokkanische Sitzkissen und Lampen, farbenfreudige Keramiken, Kleider und der intensive Geruch von Gewürzen – der Zauber Tangers berührt durch einen ganz besonderen Charme. „Die orientalische Seele braucht Fülle, deshalb sind die Läden so voll und die Portionen auf den Tellern auch so groß“, erklärt Reiseleiter Mohamed Naciri. In den Caféhäusern am Petit Socco genießen Einheimische wie auch Touristen die Atmosphäre, die auch immer wieder Künstler und Schriftsteller wie Henri Matisse, William Burroughs, Tennessee Williams, Jean Genet und Paul Bowles (Himmel über der Wüste) inspirierte. Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren galt Tanger als das „Mekka“ der Schriftsteller und Musiker. Sie verewigten das Flair der pittoresken Stadt an den Hängen des Rif-Gebirges in kreativen Bildern und Texten.
Auch Hans Joachim Tischleder, Jahrgang 1944, der in Frankfurt Kunst studiert hat, zog es an diesen Sehnsuchtsort. „Meine Leidenschaft für den Mittelmeerraum hat mich nach Tanger geführt, denn wer den Mittelmeerraum nicht kennt, kennt die Welt nicht. Zum ersten Mal landete ich hier 1971 „, sagt der Geschäftsführer der deutsch-marokkanischen Gesellschaft Tangers „Die Marokkaner haben ein sehr feines Gespür. Erst wirken sie verschlossen, dann wächst das Vertrauen. So wird es immer auf der Welt zugehen. Nur wer etwas gibt, kann etwas nehmen. Mich grüßt die Tante des Königs, wie auch der Bettler in der Suppenküche“, berichtet der Deutsche, der Tanger 1990 zu seiner Wahlheimat machte.
„Immer wenn ich in ein anderes Land komme, setze ich mich erst einmal in ein Café, das ich dann regelmäßig aufsuche. So erfahre ich viel über das Land und seine Menschen. Noch heute besuche ich das Gran Café de Paris oder traditionsreiche Hotel El Minzah, trinke dort einen Mokka, genieße und beobachte“, verrät der Deutsche seinen Weg der Annäherung. „Wenn es mich in die Natur zieht, nehme ich früh morgens den Bus, fahre an einen jungfräulichen Strand an der Atlantikküste, wo ich schon früher erst die Wellen niedergesungen und anschließend gefrühstückt habe“, beschreibt der Autor einen seiner Lieblingsplätze, die langsam rar werden. In Tanger leben rund 1,2 Millionen Menschen. In den Sommermonaten sogar zwei Millionen. „Jeder in Marokko möchte nach Tanger. Die Stadt liegt im Trend. Hier treffen sich am Cap Spartel die 2500 Kilometer lange Atlantiküste und der 250 Kilometer lange Streifen am Mittelmeer. Mein Geheimtipp: Kommen Sie während das Ramadan, dann sind Sie allein am Strand“, schmunzelt Mohamed Naciri, der sehr stolz auf seine hübsche Heimatstadt ist.
Ein Zwischenstopp in dem Küstenort Asilah lohnt unbedingt. Die spanisch-maurische Altstadt mit ihren kleinen restaurierten Gassen zwischen weißen Häusern mit grünen oder blauen Fensterläden sind von Stadtmauern umgeben, die noch aus der portugiesischen Epoche vom Ende des 15. Jahrhunderts stammen.
Anreise
Mit zahlreichen Airlines ab Deutschland direkt nach Tanger.
Royal Air Maroc fliegt nach Casablanca.
Einreise
Für die Einreise wird ein Reisepass benötigt.
Wohnen
Das Mövenpick Hotel Casablanca befindet sich in zentraler Lage im Geschäftsviertel und unweit der meisten beliebten Touristenattraktionen der Stadtmitte. Die Bar auf der Dachterrasse im 16. Stock mit Außenpool und Spa gilt als neuer Hot Spot der Metropole. Dort werden japanische und thailändische Spezialitäten serviert.
Im Herzen der Kasbah auf dem höchsten Gipfel der Medina von Tanger mit Panoramablick über die Meerenge von Gibralar befindet sich das Hotel La Tangerina. Empfehlenswert ist die Tagine, ein Eintopf mit Fleisch , Huhn oder Fisch. Zusammen mit Gemüse oder auch Früchten werden die Zutaten langsam auf kleiner Flamme in dem speziellen Tontopf geschmort.